16. März 2017

Was bringt ein Austauschjahr mit sich?

Viel mehr als man sich vorstellen kann.

Als ich mich angemeldet habe, war mir das überhaupt nicht bewusst. Ich habe es zum einen gemacht, weil meine drei älteren Geschwister alle ein solches Jahr bestritten haben und es so schon fast zu einem Muss wurde. Zum anderen, weil ich mein Leben in der Schweiz so satt hatte. Der Alltagstrott, bei dem man Angst hatte, man könnte ihn nie mehr loswerden. Natürlich war auch der Drang des Entdecken von Neuem vorhanden. Also, ich hatte gar nicht wirklich darüber nachgedacht, was ein solcher Austausch alles mit sich bringt. Wenn ich nun daran denke fühle ich mich ziemlich dumm und unglaublich naiv. Klar habe ich nicht gedacht, dass es ein Spassjahr mit Dauerlächeln werden würde, aber ich hatte schon so meine Vorstellungen und Hoffnungen.

Manchmal fühle man sich vom Austausch total veräppelt und hasst ihn.
Das Verrückteste ist wohl, dass man sich wie der König der Welt fühlen kann, weil man denkt, dass man endlich mit dem ganzen Austausch klarkommt und dann, eine halbe Minute später passiert etwas und man fällt im Sturzfall. Es kann nur eine ganz kleine Geste, eine Nachricht, ein einziges Wort oder ein Blick von jemandem sein und man denkt danach den ganzen Tag darüber nach. Es kann sogar darüber entscheiden, ob der Tag als gut befunden wird oder man ihn lieber vergessen möchte. Unglaublich wie abhängig und armselig das klingt. Aber für mich sind abhängig und Austausch mittlerweile praktisch Synonyme. Man ist eingeschränkt und kann sich nicht alles erlauben. Zum Beispiel muss man bei der Gastfamilie irgendwie schon ziemlich anständig bleiben und nicht einfach seine Meinung sagen obwohl man vielleicht innerlich kocht. So oft hätte ich etwas zu kritisieren, bei dem ich zu Hause keine Sekunde gezögert hätte, es auszusprechen. Aber hier denke ich, dass ich nicht das Recht dazu habe. Diese Familie lässt mich gratis für ein Jahr bei sich wohnen und an ihrem Leben teilnehmen.

Jetzt wo ich hier in Schweden bin, schon seit sechs Monate, stelle ich mir oft die Frage, ob ich mich wieder für dieses Auslandsjahr entscheiden würde. Danach geht mein Gedankengang weiter. Wenn ich mich erneut anmelden würde und erneut anfangen könnte, würde ich etwas anders machen? Würde ich ein anderes Land wählen? Würde ich mich anders präsentieren am ersten Schultag? Würde ich bei meiner ersten Gastfamilie bleiben? Würde ich versuchen die Schule zu wechseln, als ich eine Zeit lang sogar Angst hatte, meine Klasse zu sehen? Würde ich von Anfang an probieren, ein gutes Verhältnis mit meiner Gastschwester aufzubauen?
Die Antwort auf alle diese Fragen: ich weiss nicht, doch was ich weiss ist, dass ich es sowieso nicht mehr ändern kann und jetzt einfach das Beste daraus mache. Das hört sich jetzt total so an, als würde ich es bereuen. Dies ist sicher nicht der Fall. Ich habe bereits soviel gelernt, erlebt und vor allem viel mit mir selber befasst und dadurch besser kennengelernt.
Es ist so eine einmalige Chance, die man nur einmal im Leben kriegt. Viele meiner Freunde sagen, sie gehen dann einfach nach dem Schulabschluss reisen und die Welt entdecken. Der Unterschied zwischen ihrem und meinem Jahr? Ich besuche ein Gymnasium und habe die Möglichkeit, Teil einer völlig neuen Familie zu werden, währendem ich in eine unbekannte Kultur geworfen werde. Viele denken jetzt vielleicht, dass „werfen“ ein unpassender Ausdruck sei, aber ich habe ihn bewusst ausgewählt. Man hat keine Wahl und muss sich einfach möglichst schnell anpassen. Das kann manchmal ziemlich hart sein.
Das mit dem Heimweh hält sich bei mir dank der heutigen Technik in Grenzen. Man kann problemlos mit jeder Person skypen und alles erzählen. Deshalb vermisse ich viel mehr Orte, Gegenstände oder Momente, die mich einfach glücklich machten. Wie ich zum Beispiel in meiner letzten Woche mit meinen drei älteren Geschwistern ein letztes Mal durch unsere Altstadt lief. Oder das Gefühl, wenn ich auf de Gipfel von einem Berg stehe und über die gesamte Schweiz blicken kann. Ja, die Berge fehlen mir sehr.
Mein Leben hat im letzten Sommer einfach genial gewirkt und wenn ich jetzt daran denke, dann find ich es komisch, was ich alles für dieses Jahr aufgegeben habe. Aber ich habe das alles ja im kommenden Sommer ja schon wieder und dann wird ich sicher schnell wieder im Alltagstrott stecken. Zuhause bleibt sowieso das Meiste gleich und ich habe hier die pure Veränderung.

Aber das alles ist nun auf mein Austauschjahr bezogen und beruht auf meinen Erfahrungen und Eindrücken. Es kann sein, dass jemand anderes mir bei allem Geschriebenen widersprechen würde. Ich habe jetzt auch nicht alle Punkte erwähnt, weil es einfach so viele sind.

Also an alle, die mit dem Gedanken spielen, selber einen Austausch zu bestreiten: Ich hoffe, ich habe euch nicht abgeschreckt mit meinem vielleicht ein bisschen negativklingenden Aspekten und zum Schluss kann ich meine eigene Frage beantworten: Ein Austausch bringt also vieles mit sich und das ist auch das Schöne daran. Er ist vielseitig und ein einmaliges Erlebnis. Ja, ich würde mich wieder für diesen Austausch entscheiden!

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