15. Dezember 2016

Eine kurze Bilanz

200 Tage, 200 Tage bleiben mir noch. 118 sind um und bald kommt das 4 Monate-Jubiläum. Danach ist schon bald Halbzeit und dann dauert es weniger als ein halbes Jahr bis ich heimkehre. Dabei hat mein schwedisches Leben doch erst gerade begonnen...
Man sagt, dass der Austausch erst nach 3-4 Monaten richtig anfängt. Denn zuerst muss man sich ein Leben und vor allem ein soziales Netzwerk aufbauen. Ich glaube, dass bei mir diese Wende in den vergangenen Wochen eintraf. Ich habe meinen Alltagstrott gefunden und kann mich nahe zu richtig auf Schwedisch ausdrücken. Endlich habe ich das Gefühl, dazu zu gehören und nicht mehr ein Tourist zu sein. Ich fange an, wie sie zu denken, ob es mir gefällt oder nicht, und meine Freunde aus der Schule lachen jeweils, wenn ich auf Schwedisch fluche. Es ist für mich mittlerweile normal, meine Familie und Freunde so auf Distanz zu halten und ich bin sogar an dem Punkt angekommen, wo ich manche Nachrichten von ihnen länger unbeantwortet lasse. Nicht weil sie mich nerven, sondern bloss, weil sie momentan nicht in mein jetziges Leben passen. Aber sobald es mir dann ein bisschen schlechter geht, bin ich froh um jeden einzelnen Buchstaben, den ich aus der Schweiz empfange.

Gestern Abend hat ein AFS-Freund in Schweden mich gefragt, wieso er sich das hier überhaupt antue. Die Frage ist berechtigt. Ich habe versucht, ihn zu motivieren wie es die anderen auch bei mir tun. Ich glaube was in einer solchen Zeit am meisten an einem nagt ist, dass viele Menschen hier gar nicht richtig hinter die Fassaden eines Austausches sehen. Ihnen ist nicht bewusst, was wir durchmachen und was wirklich alles dazugehört. Sie reduzieren uns lediglich auf "den Austauschschüler" herunter. Viele denken, dies ist bloss ein Spassjahr, was man auch durchaus kann, wenn man bedenkt, dass unsere Schulnoten keine Rolle spielen und wir ein bisschen in einem fremden Land herumreisen können. Doch wir verlassen unsere Heimat für das Unbekannte. Wir müssen nicht nur mit einer völlig neuen Sprache zurechtkommen, sondern werden hier einsam ausgesetzt und müssen uns in einer neuen Kultur zurecht finden. Wir haben zwar andere AFS-er und Unterstützung von zu Hause, aber am Ende stehen wir dennoch alleine da. Aber eben, nach 3-4 Monaten, wenn man richtig angekommen ist, denkt man, dass es sich gelohnt hat und ist stolz auf sich, dass man den Schritt gewagt hat.

Der Witz an der ganzen Sache ist, dass ich im Moment wieder eine gute Phase habe und deshalb bleiben will. Aber schon morgen kann sich alles wenden und es kann sein, dass ich auf nichts mehr Lust habe und nur noch nach Hause möchte. Ja, ein Austausch ist wirklich was ganz unbeschreiblich Komisches. 

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